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Die Atlantik-Brücke eV betont, dass Europa derzeit das stärkste Bündnis mit den USA hat V


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Im Atlantik-Brücke Kurzinterview im Anschluss an das Frankfurter Sommerfest im September 2023 sprechen Sigmar Gabriel, Bundesaußenminister a.D., Vize-Kanzler a.D., Vorsitzender der Atlantik Brücke, und Vorstandsmitglied Ben Hodges, Lieutenant General (ret.), Senior Advisor, Human Rights First, über aktuelle Fragen in der Außen- und Sicherheitspolitik. 

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 haben viele europäische Länder massiv in ihre eigene Verteidigungsfähigkeit investiert. Wie bewerten Sie das Bestreben hin zu einer europäischen Souveränität in dieser Hinsicht bzw. unter welchen Voraussetzungen könnte diese erreicht werden?

Gabriel: Für mich gibt es einen Unterschied zwischen dem Streben nach Souveränität und dem nach Autonomie. Souverän handeln bedeutet, die Bereitschaft und die Fähigkeit zu besitzen, selbstbestimmt zu handeln und zu leben. Autonomie bedeutet darüber hinaus, dass man glaubt, diese Souveränität ohne Zusammenarbeit mit anderen erreichen zu können. Letzteres, vor allen dann, wenn es Europa in eine „Äquidistanz“ zu anderen Mächten bringen soll, hielte ich für eine falsche Entscheidung.

Das stärkste Bündnis, das Europa heute zur Verfügung hat, ist das mit den USA

Anders ist es mit dem Streben nach Souveränität: Nationalstaatliche Souveränität lässt sich für uns Deutsche und für jeden anderen europäischen Staat nur durch ein wirtschaftlich starkes und nach außen wie innen einiges Europa erreichen, das auch in der Lage sein muss, sich zu verteidigen. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass selbst ein weitaus geeinteres Europa, als wir es heute vorfinden, Alliierte benötigt, die auch den Ideen der Aufklärung und der Freiheit folgen, um wirklich Einfluss auf die Gestaltung der Welt nehmen zu können. Das stärkste Bündnis, das Europa heute zur Verfügung hat, ist das mit den USA. Natürlich innerhalb der NATO aber auch wirtschaftlich, politisch und kulturell. So unperfekt die amerikanische Demokratie aus unserer europäischen Sicht sich auch heute darstellen mag, auch sie folgt der Aufklärung und der Idee, dass alle Menschen gleich und frei sind. Deshalb gibt es keine Äquidistanz Europas zu anderen Mächten, sondern eine enge Allianz mit den USA. Selbst ein souveränes Europa benötigt diese Allianz um wirklich Gewicht einzubringen in die internationalen Entwicklungen der kommenden Jahrzehnte. Das Gleiche gilt nach meiner Auffassung auch für die Vereinigten Staaten von Amerika, die ökonomisch und militärisch nach wie vor eine führende Aufgabe unter den demokratischen Nationen einnehmen. Selbst dieses große und starke Amerika wird Alliierte benötigen, um die Welt in der Balance halten zu können. Deshalb halte ich das Streben Europas nach Souveränität für richtig, jenes nach Autonomie allerdings nicht.

Hodges: The Kremlin never imagined that Europe would respond so quickly and with such cohesion to Russia’s unprovoked attack on Ukraine as it has over the past 19 months. The response has included sanctions as well as increased readiness of NATO forces and a determination to re-energize industrial capacity. Within Europe, there is now the realization that Russia has consistently violated international law and shows little/no respect for the sovereignty of European countries or international law. This is why the European Union and NATO as well as individual European nations are acting with such resolve. The key to maintaining sovereignty will be whether or not we all have superior will to that of the Kremlin to see this war through to its successful conclusion.

In der öffentlichen Debatte über die europäische Sicherheitsarchitektur und deren Zukunft wird an vielen Stellen deutlich, dass in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft das Gespür für außenpolitische und geostrategische Entwicklungen fehlt. Denken Sie, dass sich dies durch den Ukraine-Krieg verändert?

Gabriel: Das hat es ganz gewiss und es wird sich weiter verändern. Denn der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist ein Symbol für die Veränderungen in der globalen Machtarchitektur, die weit über Europa hinausgeht. Die alte und vor allem für uns Deutsche sehr angenehme bequeme Weltordnung, war im Kern die Nachkriegsordnung des II. Weltkriegs. Viele Staaten, die heute eine große Bedeutung haben –  Indien, die Länder Südamerikas oder Afrikas zum Beispiel – waren an dieser Weltordnung nicht beteiligt. Wir haben sie lange Zeit als „dritte Welt“ bezeichnet und auch oft so behandelt.

der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist ein Symbol für die Veränderungen in der globalen Machtarchitektur, die weit über Europa hinausgeht

Diese Länder haben ein ganz neues Selbstbewusstsein, und wir sehen am Beispiel Chinas, dass sie deshalb die alte Weltordnung in Frage stellen. Aber noch interessanter ist die Bewegung vieler anderer Staaten, die – ebenso wie wir – souverän entscheiden wollen und nicht bloße Anhängsel einer der Supermächte sein. Auf sie müsse wir in ganz anderer Weise zugehen, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Denn wir sollten versuchen, sie für eine neue globale Ordnung zu gewinnen, die vermutlich nicht die „liberal order“ der letzten Jahrzehnte sein wird, aber hoffentlich eine „ruled based order“.

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Hodges: It is the task of the Bundeskanzler and his government to explain Germany’s strategic objectives and priorities to the German people. He must speak to them as adults and lay out the risks and costs and why it is in Germany’s best interests to achieve those objectives. In the case of Russia’s war against Ukraine, it is important for the Bundeskanzler to make it very clear that Russia’s attack on Ukraine is an attack on the international rules-based order from which Germany has prospered so much over the last 75 years. My sense is that more and more Germans are becoming aware of this and understand that they can no longer just stand by or hope that the problem goes away.

Der Krieg in der Ukraine kann nicht losgelöst von geopolitischen Machtverschiebungen, gekennzeichnet durch den viel zitierten „Abstieg des Westens und den Aufstieg des Rests“, betrachtet werden. Welche langfristigen Auswirkungen könnten sich aus dem Ukraine-Krieg für den Wettstreit der Systeme, also Autokratie versus Demokratie, ergeben?

Gabriel: Ich bin nicht so sicher, ob es dieser Wettstreit zwischen „Autokratie und Diktatur“ einerseits und „Demokratie“ andererseits sein wird, den wir vor uns haben. Ob sich Staaten demokratisieren oder nicht, werden immer die Menschen in diesen Staaten selbst entscheiden müssen. Alle Versuche, das von außen zu beeinflussen oder gar mit militärischen Mitteln durchzusetzen, sind in den letzten Jahrzehnten bitter gescheitert. Eigentlich ist dies nur zweimal im letzten Jahrhundert gelungen: in Deutschland nach dem totalen Zusammenbruch 1945 und in Japan. Deshalb wird es wohl eher darum gehen, einerseits die Demokratien im Inneren zu stabilisieren, und zugleich mit anderen Gesellschaftssystemen zumindest einen gewaltfreien Umgang zu sichern. Und es gibt sogar Menschheitsherausforderungen, wo wir völlig unabhängig vom jeweiligen politischen System mit allen zusammenarbeiten müssen: Im Kampf gegen den Klimawandel, bei der Bekämpfung der Pandemien oder bei der Verhinderung der Proliferation von Nuklearwaffen. Die große Aufgbe der kommenden Jahre wird sein, die drei großen „C“ der internationalen Politik in der Balance zu halten: „Confrontation“, denn die gibt es natürlich zwischen Demokratie und Autokratien, „Competition“, also Wettbwerb vor allem im Bereich der Ökonomie und der Technologie, und „Cooperation“ in den Feldern, in denen sich globale Herausforderungen nur gemeinsam lösen lassen.

Hodges: I think that the West is actually getting organized now. I don’t see a “decline of the West” though we do of course have internal challenges to our values and our institutions which, if not protected/defended, will lead to our decline. NATO has increased its readiness and deterrence posture and most nations are re-energizing their defence industries. Russia, on the other hand, has put itself into a position of extreme strategic disadvantage and China is dealing with its own domestic, economic, and demographic problems. We are not doomed…western cohesion with American and German leadership can ensure the continued success and prosperity we get from our international rules-based order.

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Author: Julie Lutz

Last Updated: 1703422321

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