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Schweizer Influencer bringen lukrative Geschäfte mit hohen Risiken mit sich


Soziale Netzwerke können mit ein bisschen Glück und Talent ein Sprungbrett in die Selbständigkeit sein. Manche Influencer schaffen es, ein lukratives Geschäftsmodell auf die Beine zu stellen. Doch die Risiken sollten nicht unterschätzt werden.

Dieser Artikel ist Teil der Serie «Neue Arbeitsmodelle: Ausbrechen aus dem Büroalltag»

Skifahren in St. Moritz in einem Designer-Skianzug, Residieren im Spa-Hotel und Fondue-Essen mit Bastian Baker. So kann ein Wochenende im Leben von Zoë Pastelle aussehen. Pastelle kann man als Influencerin bezeichnen, obwohl sie sich gegen die Definition sträubt, weil ihr Job viel mehr sei.

Auf den sozialen Netzwerken hat sich die 23-Jährige einen Namen gemacht, auf Instagram verfolgen 304 000 Menschen täglich, wie Pastelle ihre Haut pflegt, welche Parfums sie verwendet, wo sie essen geht und in welche glamourösen Roben sie sich kleidet. Unternehmen reissen sich darum, ihre Marke auf ihren Posts beworben zu sehen. Wer ihr folgt, wird mit augenscheinlichem Luxus konfrontiert: Ihre flauschigen Finken sind von Dior. Bulgari und Victorinox zählen zu ihren langjährigen Partnern.

Was als Hobby einer 13-jährigen Zürcherin begann, ist heute ein Familienunternehmen – der Bruder und die Mutter sind ebenfalls involviert. Für einen Post würden Beträge im vierstelligen Bereich gezahlt, sagt der Bruder, der das Management übernommen hat. Auf ihn kämen die Unternehmen mit ihren Anfragen zu, und er handle mit ihnen aus, wie viele Storys und Posts pro monetäres Engagement drinlägen.

Arbeiten im Luxushotel

Traumjob Influencerin – was klingt wie das Leben einer Märchenprinzessin, ist mit viel Druck verbunden. Es gilt den Erwartungen der Follower, der Unternehmen und nicht zuletzt den eigenen gerecht zu werden – alles vor dem Hintergrund einer immer schneller werdenden, globalen Zurschaustellung heutiger Schönheitsideale. Man müsse «immer in Topform sein und Highlights präsentieren», sagt Pastelle. Keinen Tag habe man frei – auch nicht im Luxushotel in St. Moritz, wo man den ganzen Tag an Projekten arbeite und Fotoshootings mache.

Doch bringt man diesen Ehrgeiz mit, kann man mit der Tätigkeit auf den sozialen Netzwerken tatsächlich seinen Lebensunterhalt verdienen und dadurch selbständig werden. Und vielleicht sogar reich.
Wie man aber überhaupt zu posten anfängt und ab wann man dadurch finanziell unabhängig wird, hängt von vielen Faktoren ab. Allem voran von der Plattform.

Serie: «Neue Arbeitsmodelle: Ausbrechen aus dem Büroalltag»

VIDEO: Die Welt der Social Media Influencer | Doku | SRF Dok
SRF Dok

Das Leben lang bei einem Arbeitgeber verbringen, stets zu hundert Prozent arbeiten und täglich im Büro erscheinen – viele Arbeitnehmer können sich dies nicht mehr vorstellen. Gerade Hochqualifizierte haben heute weniger Angst vor «ungeraden Lebensläufen» und Lücken im CV. Dabei sollte man aber stets Finanzen und Altersvorsorge im Auge behalten. Die NZZ beantwortet in einer Serie die wichtigsten Fragen.

«Rein monetär gesehen, sind Instagram und Youtube lukrativ. Aber auf Tiktok sind mehr Leute, da kriegt man viele Views und kann dadurch Leute gewinnen», sagt etwa der Schweizer Adrian Vogt, bekannt als Aditotoro. Ihm folgen 2,3 Millionen Menschen auf Tiktok, rund 900 000 sind es auf seinen drei Youtube-Kanälen. Der 24-Jährige hatte ein Jahr beim Radio gearbeitet und sich nach dem Absolvieren des Zivildiensts vor rund drei Jahren auf den sozialen Netzwerken selbständig gemacht. In seinen Unterhaltungsvideos zeigt er tagebuchartig seinen Alltag oder filmt Challenges mit anderen Youtubern. 2020 gewann er damit den Swiss Comedy Award im Bereich Online.

Ein Schneeballeffekt

Gross geworden ist Vogt mit Youtube. Seine erste Kooperation war mit Zweifel Chips. Das sei nicht viel gewesen, aber so müsse man anfangen. Am Ende werde man für seine Reichweite bezahlt, nicht für den Aufwand. Ergo lohnt sich das Geschäft umso mehr, je stärker man wächst. Die Entlöhnung auf Youtube zum Beispiel, die von Werbungen, die vor oder während eines Videos geschaltet werden, stammt, ist von der Zahl der Abonnentinnen und der Klicks abhängig. «Für eine Million Klicks bekommt man von Google für diese Werbungen so zwischen 4000 und 20 000 Franken», sagt Vogt. Hierbei komme es auch immer darauf an, wie werbefreundlich der Kanal sei.

Im Internet findet man viele Youtuberinnen, die ihre Entlöhnung durch die Videoplattform offenlegen. Durchschnittlich 1244 Euro brutto im Monat verdient etwa der deutsche Youtuber Finanzbär bei rund 50 000 Abonnenten allein durch Youtube-Werbeeinnahmen, wie er in einem Video aufzeigt. Zählt man die sogenannten «Affiliate»-Links hinzu, die auf die Websites von Sponsoren verweisen, sowie die Einnahmen durch Produktplatzierungen, sind es gar 4800 Euro monatlich.

Auf der Website Socialblade, die einen zahlenbasierten Überblick über Tätigkeiten auf sozialen Netzwerken gibt, können geschätzte Einnahmen einzelner Influencerinnen eingesehen werden. Der Youtube-Account von Vogt alias Aditotoro generiert laut der Plattform monatlich schätzungsweise bis zu 3100 Dollar. Den zweitgrössten Schweizer Youtube-Account hat gemäss Socialblade hinter der Fifa Dean Schneider, der in Südafrika Tiervideos filmt. Er hat 6,16 Millionen Abonnenten.

Damit gehört Schneider aber zu einem sehr kleinen Kreis von Privilegierten. Laut einer 2020 veröffentlichten Studie der Universität Luzern erhalten 68 Prozent von 124 befragten Influencerinnen in der Schweiz weniger als 1000 Franken im Monat für ihre Tätigkeit in den sozialen Netzwerken – und hier sind alle Plattformen einbezogen. Jedoch sind in der Studie kleine, nebenberufliche Influencer überrepräsentiert, was den Durchschnitt nach unten ziehen dürfte. Immerhin: Eine der für die Studie befragten grösseren Influencerinnen in der Schweiz gab an, bei einem Zeitaufwand von 85 Stunden pro Monat bis zu 60 000 Franken zu verdienen.

Täglich das Frühstück filmen

Neben Plattform und Reichweite spielt auch die Zusammensetzung der Einnahmequellen eine Rolle, mit denen Influencer Geld verdienen können. Davon gibt es nämlich verschiedene.

Neben der Kooperation mit Marken, die dafür bezahlen, dass ihre Produkte in den Videos von Aditotoro oder den Instagram-Posts von Zoë Pastelle vorkommen, oder der finanziellen Vergütung durch Youtube, die von der Zahl der Abonnenten abhängig ist, beginnen viele Influencerinnen auch, eigene Produkte in einem Online-Shop zu verkaufen. Dies hat den Vorteil, dass man mit seiner grossen Reichweite «gratis» die eigenen Produkte bewerben kann.

«Wieso für andere werben, wenn man seine Reichweite für die eigene Marke nutzen kann?», sagt auch Reto Hofstetter. Er ist Professor für digitales Marketing an der Universität Luzern und forscht unter anderem zu Social Media und Influencer-Marketing. Hierbei sei ihm aufgefallen, dass das Modell des Influencer-betriebenen Online-Shops auch im asiatischen Raum sehr attraktiv sei, da verlinkten viele Influencerinnen in ihren sozialen Profilen direkt auf ihre eigene Unter-Website auf Chinas Online-Händler Alibaba.

Auch die Food-Bloggerin und -Influencerin Doris Flury alias Mrs Flury setzt auf dieses Konzept. Nachdem sie sich in den sozialen Netzwerken ihre Reichweite aufgebaut hatte, eröffnete sie 2020 einen Online-Shop. Mittlerweile ist sie mit ihrer Online-Tätigkeit selbständig und konnte finanziell gesehen ihre ehemalige 60-Prozent-Anstellung als Marketing-Controllerin ersetzen. «Meine Freunde meinten immer: Doris, du kochst so gut. Kannst du nicht die Rezepte irgendwo teilen?», sagt sie. Also begann sie 2014 zu filmen, wie sie einen Marmorkuchen bäckt oder eine gesunde Pasta-Sauce zubereitet, und stellte die Videos ins Internet.

Heute hat Flury 151 000 Follower auf Instagram, 120 000 auf Youtube, 138 200 auf Tiktok, mit denen sie zunehmend auch ihren Alltag als Familienmutter teilt. «Ich filme zum Beispiel, was ich am Morgen frühstücke oder was ich den Tag hindurch esse.» In ihren Storys sieht man, wie sie mit dem Hund spazieren oder mit der Familie wandern geht.

Wie präsent das Handy und die sozialen Netzwerke in ihrem Leben sind, ist der Dreifachmutter bewusst. Das Handy sei für sie ein mobiles Arbeitsgerät, das Mitfilmen beim Umsetzen von Rezepten schon längst Alltag. «Täglich arbeite ich schon vier bis fünf Stunden mit dem Handy», sagt Flury, die in der Nähe von Basel lebt. In ihrem Online-Shop führt die ausgebildete Ernährungswissenschafterin eigene Lebensmittelprodukte, darunter gesunde Riegel, pflanzliches Proteinpulver und Küchenzubehör. Vier Personen arbeiteten für den Online-Shop, ihr Mann habe für das Business seine Vollzeitstelle um zehn Prozent reduziert. Flury ist froh um die Unterstützung. Sie erhoffe sich, dass das Unternehmen weiterwachse – aber einen knallharten Businessplan hinter «Mrs Flury» gebe es nicht.

Die Mode- und Lifestyle-«Content-Creatorin» Pastelle findet, es brauche ein gutes Konzept, um auf Social Media erfolgreich zu sein. Man müsse sich überlegen, ob man sich eine Nische wie etwa Underground-Mode suche, in der man sich etabliere, oder ob man auf all die Trends eingehe, die der Algorithmus, mit dem die sozialen Plattformen arbeiten, vorgebe.

Beispielsweise könne man das Lied, das auf Tiktok gerade viral gehe, nutzen und daraus ein Projekt machen. «Was sich bei Tiktok anbietet, ist die Strategie von ‹Trend-Following›: Man schaut, was gerade im Trend liegt, und springt dann zum richtigen Zeitpunkt auf den Zug auf», sagt auch Hofstetter von der Universität Luzern. Habe man einmal eine Strategie, sei es wichtig, mit der Community zu interagieren, Nahbarkeit zu schaffen und eine Botschaft zu haben, sagt Pastelle. Hierbei kann es wohl nicht schaden, die richtigen Leute zu kennen. «Ich habe schon sehr früh viele Leute in Zürich kennengelernt. Ich würde sagen, eines meiner Talente ist Networking.»

Auch Chantal Convertini verdankt ihre heutige Berufstätigkeit ihrer Reichweite. Die Schaffhauser Fotografin heisst auf Instagram Paeulini und hat dort 161 000 Follower. Ursprünglich liess sie sich zur Zeichnungslehrerin ausbilden. Im Jahr 2015 fing sie an, nebenher ihre Fotografien auf der sozialen Plattform hochzuladen. Da habe sie andere gefunden, die im selben Stil wie sie fotografierten – mehrheitlich analog und den menschlichen Körper in natürlichem Licht porträtierend.

Als sie an ihrer Diplomfeier realisiert hatte, dass Zeichnungslehrerin doch nicht das war, was sie machen wollte, kamen Nebenjobs und Vertretungen, bis ihr eines Tages vom Pizza-Lieferdienst gekündigt wurde, bei dem sie arbeitete. «Da kam der Punkt der Entscheidung: Suche ich mir einen klassischen ‹Nine-to-five-Job›, oder versuche ich es selbständig?» Die heute 30-Jährige öffnete Schweizer Online-Stellenportale und war verzweifelt. «Bei der Hälfte der Stellenbeschreibungen wusste ich nicht einmal, was das bedeutet.» Also ging sie das Risiko ein – und schaffte es, von ihrer Kunst zu leben.

Die Finanzierung gleicht hierbei einem Flickenteppich. Neben dem Verkauf von gedruckten Fotografien oder Büchern hat Convertini vor allem ihre Reichweite dafür genutzt, kostenpflichtige Fotografie-Workshops anzubieten oder ihre Arbeit auf Patreon zu bewerben. Patreon ist eine Website, die auf Abonnenten-Basis funktioniert. Kreative können ihre Inhalte hochladen, und ihre Followerinnen haben je nach Abonnement Zugang zu unveröffentlichten Videos und Bildern oder bekommen einen Einblick in den Arbeitsalltag der Freischaffenden. Bei Convertini kann man beispielsweise zwischen drei möglichen Abonnements für jeweils ein, fünf oder zehn Dollar im Monat auswählen. Dass diese Finanzierung funktioniert, hat Convertini insbesondere Instagram zu verdanken, wo sie viele Interessierte erreichen kann. Für ihren Weg in die Selbständigkeit sei die Plattform «absolut essenziell» gewesen.

Der Willkür ausgeliefert

Mit der Chance, die Plattformen wie Instagram bieten, kommt aber auch die Abhängigkeit. Convertini bekam das im Sommer 2021 zu spüren. Von einem Tag auf den anderen sei ihr Account gelöscht gewesen. Bilde der Kanal die finanzielle Lebensgrundlage, komme eine solche Entfernung einer «Entwendung des Lebensinhalts» gleich, sagt sie. Verzweifelt habe Convertini begonnen, Alternativen zu suchen. «Ich wusste, dass ich ohne Instagram wohl hätte aufgeben müssen.»

Glücklicherweise sei der Account nach neun Tagen wiedergekommen. Seither ist Convertini vorsichtiger, hat einen Zweit-Account und einen Newsletter gestartet, um sich so ein Stück weit abzusichern. Dennoch spüre sie jeden Tag, wie stark sie der Plattform ausgeliefert sei.

Habe sie früher noch jeden Tag ein Foto gepostet, sei ihr jetziger Plan für die Zukunft, ein Stück weg von den sozialen Netzwerken in das «richtige Leben» zu kommen. Grund sei nicht nur die Abhängigkeit von Instagram, sondern auch viele Merkmale der sozialen Plattform, die ihren Wertvorstellungen entgegenstünden. «Instagram entwickelt sich gerade zu einer Videoplattform, um dadurch noch mehr Aufmerksamkeit von jungen Menschen zu bekommen und noch mehr Werbung schalten zu können. Sie sind Meister darin, die Menschen süchtig zu machen.» Convertini entscheide sich heute manchmal bewusst dagegen, eine gelungene Fotografie auf Instagram zu teilen. «Dann gibt es das halt nur im Buch oder nur als Print und wird nicht gepostet. Da kommt langsam so eine Gelassenheit rein.»

Gelassenheit ist wohl angebracht in einem Feld, in dem die Karriere von so vielen Faktoren und einer guten Prise Glück abhängt. Hoher Erwartungsdruck, konstante Bewertung durch die Öffentlichkeit und eine Konkurrenz um Aufmerksamkeit in globalem Rahmen gehören zum Alltag. Im Grunde genommen sei es, wie Musiker zu sein, meint Vogt. «Es gibt Tausende von Menschen, die es probieren. Am Ende sind es fünf, die es schaffen.»

Serie: «Neue Arbeitsmodelle: Ausbrechen aus dem Büroalltag»

Das Leben lang bei einem Arbeitgeber verbringen, stets zu hundert Prozent arbeiten und täglich im Büro erscheinen – viele Arbeitnehmer können sich dies nicht mehr vorstellen. Gerade Hochqualifizierte haben heute weniger Angst vor «ungeraden Lebensläufen» und Lücken im CV. Dabei sollte man aber stets Finanzen und Altersvorsorge im Auge behalten. Die NZZ beantwortet in einer Serie die wichtigsten Fragen.

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Author: Amanda Lewis

Last Updated: 1702443003

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Job: Video Game Designer

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